An kaum einer anderen Stelle wird das Spannungsfeld der verschiedenen Nachhaltigkeitsfaktoren so deutlich, wie bei Bauprojekten. In der Planung müssen viele Entscheidungen getroffen werden und dabei unterschiedliche – teils widerstrebende – Ziele gegeneinander abgewogen werden. Das „integrierende Nachhaltigkeitsdreieck“ macht wunderbar deutlich, dass es bei Nachhaltigkeitszielen nicht nur um die Wirkung einer Maßnahme auf einen einzelnen Lebens- oder Planungsbereich geht, sondern eigentlich immer um alle.
siehe auch: Drei-Säulen-Modell (Nachhaltigkeit) – Wikipedia
Auch ein auf den ersten Blick nachhaltiges Projekt, kann sich bei genauerer Betrachtung als Katastrophe für einen einzelnen Faktor herausstellen.
Ein aktuelles Beispiel für dieses Trilemma zwischen Ökonomie, Sozialem und Ökologie ist das Projekt „Giga-Factory“ (nein, hier ausnahmsweise mal nicht Tesla). Der LBV (Gemeinsam Bayerns Natur schützen) schreibt:
„Der Flächenfraß ist eines der drängendsten Umweltprobleme in Bayern. Immer mehr Gewerbeflächen werden vor allem in Wäldern ausgewiesen. Besonders gravierend ist die geplante 37 Hektar große „Giga-Factory“ im Stadtwald von Tirschenreuth. Dort sollen jährlich 3.000 Holzhäuser produziert werden.“
kompletter Artikel hier: „Giga-Factory“ bei Tirschenreuth gefährdet Artenvielfalt
Die Komplexität eine „gute“ Entscheidung zu finden ist hier nochmal höher als sonst, da hier innerhalb des Bereichs Ökologie die berechtigten Anliegen von „Biodiversität und Flächenfraß“ versus „Bauen mit nachhaltigen Rohstoffen“ aufeinanderprallen. Ein erstmal tolles Projekt „Holzhaus-Produktion“ vernichtet auf der anderen Seite Lebensraum und Moorlandschaften (CO²-Speicher).
Ich bin froh, dass ich hier keine Entscheidung treffen muss, aber ich habe schon das Gefühl, dass ein Faktor besondere Wichtigkeit in der Abwägung bekommen muss, wenn etwas „unwiederbringlich“ ist.
Wie würde ich das im privaten Bereich angehen, z.B. beim Auto-Kauf?
Ich muss gestehen, an der ein oder anderen Stelle überfordert mich die Komplexität der Entscheidungsfindung in Bezug auf ein nachhaltiges Leben. Mir Fallen direkt einige Beispiele ein, vom Fleischkonsum bis zum Schuhe kaufen. Ich möchte hier aber mein Beispiel mit dem wahrscheinlich größten Impact bemühen: Den Auto-Kauf. Hierbei steht es für mich außer Frage, dass im privaten Nachhaltigkeitsdreieck zumeist die ökologischen und sozialen Aspekte zu kurz kommen. Also: Was kann mir bei meinen Entscheidungen helfen, besser abzuwägen?
Bei der Auswahl meines fahrbaren Untersatzes hätte ich gerne die einfache Formel, wie z.B. „Schau einfach auf den CO²-Ausstoss und suche das Auto danach aus!“
Aber schon kommen die ersten Zweifel auf: Geht es um den Ausstoß nur im Betrieb, oder auch während der Produktion? Sollte es nicht auch um andere Faktoren gehen, wie Rohstoff-Einsatz?
Also, erst einmal informieren und sortieren:
- Wie steht es um den Ressourcenverbrauch und den Emissionen über den gesamten Lebenszyklus? (CO², Rohstoffe, Energieaufwand)
- Welche Anforderungen an den Nutzen des Fahrzeugs und welchen Verwendungszweck habe ich überhaupt – und kann ich den vielleicht optimieren? (Anzahl gleichzeitiger Nutzer, Mehrzweck)
- Wie steht es um die Infrastruktur, die ich für den Betrieb brauche? (Parken, Tanken, Laden)
- Gibt es Alternativen, wenn ich meine Mobilität insgesamt betrachte? (Veränderung der Anteile von Fahrrad, Bus, Bahn, Flugzeug)
- Wie hält es der Hersteller mit der sozialen Verantwortung? (FairTrade, Verantwortung für Mitarbeiter)
- … und auch nicht so unerheblich: Ist die Entscheidung durchhaltbar, oder überfordert sie mich? (… so dass ich nachher z.B. mit einer schweren Batterie beladen mein Hybrid-Fahrzeug doch nur tanke?)
Schlussendlich sehe ich an dieser kurzen, unvollständigen Auflistung, dass ich für eine ausgewogene Entscheidung unbedingt eine bestmögliche Informationsgrundlage benötige. Und siehe da: Wenn ich ein wenig recherchiere, finde ich tolle Quellen als Grundlage für meine Entscheidung. Hier zwei Beispiele, die mir zumindest beim Teilaspekt „CO²-Bilanz“ weitergeholfen haben:
- Quarks beantwortet sehr einleuchtend die Frage, dass wir wirklich ein CO²-Problem haben, mit: JA!
Warum so wenig CO2 eine so große Wirkung hat – quarks.de
- Die TCS Patrouille (ähnlich ADAC) aus der Schweiz beantwortet sehr anschaulich mit Vergleichen einzelner Auto-Modelle, welches Fahrzeug in welchem Zeitraum eine besser CO²-Bilanz hat.
Autosuche: neu mit Klimabilanzrechner
- Auch diese Studie von Auke Hoekstra von der Eindhoven University of Technology hilft mir bei der Einordnung.
Treibhausgas_Elektro_Andere_Studie.pdf
Auf Grundlage dieser und weiterer Informationen traue ich mir auf jeden Fall zu, meine ersten Schritte Richtung besserer CO²-Bilanz zu gehen. Mein Optimum heißt: Mehr öffentliche Verkehrsmittel und weniger (beruflich) das Flugzeug nutzen, mehr Fahrrad fahren und die Nutzung des Autos (noch Diesel) auf alle Fälle reduzieren. Das ist sicher nicht perfekt, aber in meinem Nachhaltigkeitsdreieck optimal.
Wenn ich von Grundlagen für die Entscheidung spreche, räume ich natürlich auch ein, dass diese sich z.B. durch neue Erkenntnisse ändern können. Eine regelmäßige Überprüfung meiner eigenen Informationsgrundlagen wird eigentlich zur Pflicht!
Grundsätzlich habe ich bei dieser Betrachtung eins gelernt: Alles ist eine Frage des „gut informiert Seins“. Und auf der anderen Seite sage ich mir: Die perfekte Entscheidung gibt es nicht, also lieber Hagen: Mach Dich locker und fang vor allem mal an … denn auch nicht entscheiden und nichts ändern IST eine Entscheidung!
Was kann ich daraus für nachhaltige Entscheidungen in Projekten ableiten?
Die Bauindustrie ist mit Ihren Projekten unbestritten eine der größten Umweltbelastungen. Das können wir ignorieren, wir können GreenWashing betreiben, oder es als Chance begreifen, dass so viel Potential für Änderung da ist. Hier dürfte das Paretoprinzip der Effizienz zutreffen, dass mit relativ wenig Aufwand (z.B. etwas Planungsaufwand) ein großer Effekt (z.B. enorme Ressourceneinsparung) erzielt werden kann.
Meine These ist, dass die Qualität einer nachhaltigen Entscheidung vor allem von der Qualität der Information im Projekt abhängt. Das Konzept der integralen Planung sieht vor, dass interdisziplinäre Teams möglichst alle Teilaspekte eines Projektes beleuchten, und seit ca. 2015 hat sich auch der Umgang mit den Projektinformationen durch Building Information Modeling (BIM) erheblich verbessert.
Das Gebäude-Informations-Modell kann – wenn es richtig aufgesetzt ist – eine Vielzahl von Nachhaltigkeitsaspekten transparent machen und für den Entscheidungsprozess zur Verfügung stellen. Hier nur einige Stichworte zu Informationen, die im BIM-Modell enthalten sein oder daraus abgeleitet werden können:
- Ressourcen- und Energieeffizenz im gesamten Lebenszyklus
- Umweltverträglichkeit prüfen, Eingriff in die Natur simulieren (Stadt-, GeoModell)
- Betriebsmittelverbrauch, optimierte Logistik
- Einsatz von regionalen oder nachwachsenden Rohstoffen
- Flächenverbrauch, Versiegelung, Flächennutzung
- Artenschutz-Aspekte
- Abfallvermeidung durch Wiederverwendung, Verlängerung von Nutzungsphasen, Verringerung des Materialeinsatzes beim Bauen
- Abriss- Wiederverwendung, Abriss, Cradle to Cradle
- Maße, Materialien und Funktions- und Nachhaltigkeitseigenschaften
- Ökonomische Nachhaltigkeit: Genau die richtigen Materialien in genau den richtigen Mengen kaufen!
- Kennzeichnung von gefährlichen Materialien und sicherer Umgang damit
- Einbindung von ökologischen Datenbanken mit Umweltproduktdeklarationen
Die Digitalisierung stellt hier mit Hilfe des BIM-Prozesses wichtige Grundlagen zur Verfügung, um die hohe Komplexität zu beherrschen, um Nachhaltigkeitsziele für unsere gebaute Umwelt zu erreichen.
Nicht zu verachten sind aber auch die Nachhaltigkeitseffekte durch die Digitalisierung selbst:
- Durch Onlinezusammenarbeit – die durch BIM wesentlich vereinfacht wird – sind weniger Geschäftsreisen notwendig.
- Gute, nachhaltige Lösungen sind in digitalisierten Prozessen viel besser zu vervielfachen. So können z.B. Konstruktionsweisen für Begrünung an und in Gebäuden mit BIM standardisiert werden und einer größeren Gruppe von Planern zugänglich gemacht werden.
Gute und vor allem gut lesbare Informationen helfen mir.
Egal in welchem Entscheidungsprozess ich mich befinde: Mehr und vor allem besser aufbereitete Informationen helfen mir beim vollständigen Durchdenken. Ich möchte mir selbst unvermeidbare Widersprüche aufzuzeigen und eigene Abwägungen anderen gegenüber deutlich machen können. Im privaten helfen mir unterschiedlichste Medien, die ich mir – wohl oder übel – selbst strukturieren muss. Im Projektalltag helfen mir die digitalen Projektinformationen aus dem BIM-Prozess. Hier würde ich mir noch umfangreichere und standardisiertere „Informations-Cockpits“ wünschen.
Randnotiz: Nachdem ich diesen Artikel geschrieben habe, bin ich ziemlich zukunftsoptimistisch, denn mir wurde mal wieder deutlich, dass es – neben den Problemen rund um FakeNews – wahrscheinlich noch nie solch geniale Grundlagen gab, gut reflektierte Entscheidungen zu treffen. 🙂
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